Archiv der Kategorie: Radverkehrspolitik

„Ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksichtnahme. Wir müssen uns miteinander im Straßenverkehr arrangieren.“

Heute haben wir eine kleine Radtour nach Oldenburg gemacht, um das beste Eis der Welt zu essen: Krauss Eis in der Donnerschweer Str. 331. Dabei haben wir schöne Fotos gemacht und ich wollte diese hier eigentlich zusammen mit der Route einstellen. Dazu habe ich nun aber einfach nicht mehr die Nerven, weil wir kurz vor Ende unserer Tour ein so gefährliches Erlebnis hatten, dass wir noch total geschockt sind. Auf dem Knickweg, einem Feldweg, der zwischen 3,00 und 3,50 m breit ist, ist ein SUV mit wenigen Zentimetern Abstand an uns und den Kindern vorbeigefahren. Mein Sohn hat sich so erschrocken, dass er den ganzen Nachhauseweg geheult hat. Nach dem Überholmanöver hat der Autofahrer direkt vor uns gehalten und ist ausgestiegen, um uns breit lächelnd darüber aufzuklären, dass wir eben weiter rechts fahren müssen. Auf meine Erwiderung, dass der Weg so schmal sei und viele Schlaglöcher habe, und dass er 1,5 m Abstand halten muss – zumal Kinder dabei waren, hat er weiterhin gelächelt und wiederholt, dass das völlig normal sei, dass er uns dort überholt. Dann ist das Auto weitergefahren und nach wenigen Metern links auf das Grundstück in der Mitte des Knickwegs eingebogen.

Dieses Schild befindet sich an der DB-Baustelle im Knickweg. Am Knickweg selbst ist ein solches Schild nicht zu finden, obwohl ich es mir heute sehr gewünscht hätte. Das liegt daran, dass der Knickweg ein öffentlicher Weg ist und kein Privatgelände. Im Knickweg gilt die StVO also einfach so – ganz ohne Schild.

Da der Fahrer extra vor uns angehalten hat, um uns zu erklären, was wir falsch gemacht haben, hatte er es offensichtlich nicht einmal eilig, sondern er hat das einfach aus Prinzip gemacht. Wir haben mit Mühe und Not das heulende Kind nach Hause bekommen und ich werde auf keinen Fall meine Kindern jemals wieder allein auf dem Knickweg mit dem Fahrrad fahren lassen, denn diese Person ist dort regelmäßig unterwegs.

Nach diesem Ereignis erscheint es mir umso wichtiger, dass wir uns für den Radverkehr in Rastede stark machen. Dabei geht es auch ums Klima, zuallererst geht es aber einmal um die Sicherheit der Menschen, die in Rastede „und um zu“ mit dem Rad unterwegs sind. Natürlich wird es immer einzelne Personen geben, die meinen, ihnen gehöre der Knickweg, und die leichtsinnig andere gefährden. Aber wenn Fahrradfahren insgesamt einen höheren Stellenwert in der Gemeinde erlangt, wird sich das auch auf das Miteinander im Verkehr auswirken. Daher möchte ich heute die Gelegenheit nutzen, den ADFC Ammerland vorzustellen, der sich hier bei uns für die Belange von Radfahrer*innen, aber auch von Fußgänger*innen einsetzt. Unsere Familie ist schon seit über 10 Jahren Mitglied im ADFC. Der Vorsitzende des ADFC Ammerland, Thorsten Schramm, wohnt selbst in Rastede. Und ich freue mich besonders, dass er sich Zeit für meine Fragen genommen hat.

Der ADFC ist ein Verband, der sich für die Förderung des Radverkehrs einsetzt. Welche Aktivitäten gehören konkret zum Engagement des ADFC Ammerland?

Thorsten Schramm: Der Verein hat den Zweck, unabhängig und überparteilich im Interesse der Allgemeinheit den Fahrradverkehr und die Belange nichtmotorisierter Verkehrsteilnehmer*innen zu fördern. Beratung und Unterstützung für Mitglieder*innen, Bürger*innen, Verwaltung und Politik bei Fragen rund ums Fahrrad oder Infrastruktur. Z.B. Förderung und Sensibilisierung des Fahrradverkehrs, durch Aktionen und Aufklärung.
Wir bieten im Landkreis verteilt immer wieder Codieraktionen an. Dabei wird ein Code (Kombination aus Orts-/Straßenschlüssel, Anfangsbuchstaben des Namen und Codierjahr) auf den Fahrradrahmen aufgebracht, mit dem auf den Eigentümer*in zurückgeführt werden kann. Desweiteren unterstützen und beraten wir die Ammerland Touristik bei den 15 Themenrouten, des Radwegenetzes und dem neu eingeführten Knotenpunktsystem. Aus den Ortsgruppen heraus werden regelmäßig Touren von unseren Tourenguides angeboten. Dabei werden Feierabendtouren, Ganztagestouren oder auch geführte Touren mit Erörterungen durchgeführt. Die Touren sind öffentlich und nicht nur für Mitglieder*innen. Ebenso geben wir unsere Stellungnahmen beispielsweise bei Planfeststellungsverfahren des Landkreises.

In welchen Bereichen sehen Sie in Rastede noch „Förderbedarf“ beim Radverkehr?

T.S. Zum Beispiel bei der Einführung eines Radverkehrskonzeptes und Schaffung einer Ressource als Radverkehrsbeauftragte*r in der Gemeinde. Ein schwieriges Thema ist die Radwegeführung am Beispiel Oldenburger Straße, Raiffeisenstraße oder auch die Kreisverkehre. Hier wünschen wir uns eine Vereinheitlichung. Es ist teils schwer zu verstehen, wann wo wie schnell gefahren werden darf. Verbesserung der Oberflächen und Wegebreiten, z.B. Ausbesserungen von Wurzelaufbrüchen, Schäden durch Frost oder der Grasüberwuchs an ohnehin schon schmalen Wegen. Wir wünschen uns komfortable Radschnellwege, z.B. zwischen Rastede und Oldenburg.
Hilfreich und ein Sicherheitsgewinn wären Aufstellflächen/Fahrradbuchten an Lichtsignalanlagen. Allgemein Schaffung von Sicherheit für Fahrradfahrende, z.B. durch Geschwindigkeitsbegrenzung auf der Oldenburger Straße auf 30 km/h.

Beim ADFC-Klimatest hat Rastede nicht so gut abgeschnitten. Wer ist verantwortlich dafür, dass die Probleme angegangen werden und welche Maßnahmen schlägt der ADFC vor?

T.S. Die Probleme sind uns bekannt und werden regelmäßig angesprochen. Wir sind dabei im Kontakt mit der Polizei, dem Landkreis und der Gemeinde. Mit unserer Gemeinde steht noch ein gemeinsamer Termin aus, in dem wir beispielhaft die Oldenburger Straße abfahren wollen und auf Gefahrenpunkte und Verbesserungspotential eingehen wollen. Die Oldenburger Straße ist ein Beispiel für eine mannigfaltige Beschilderung, Verkehrsführung und innerhalb des Ortskerns ohne Leitlinie, bei gefühlt enger Straße und parkenden Autos.

Der ADFC ist ein Verband und lebt daher vor allem vom Engagement seiner Mitglieder. Für wen ist der ADFC „der richtige Verein“? Was kostet die Mitgliedschaft und was macht man als ADFC-Mitglied?
T.S. Der ADFC breit aufgestellt ist. Regional setzt sich der Verein für den lokalen Radverkehr ein. Der Verein bietet Informationen rund ums Rad, Touren oder Fachthemen an. Bei einer Panne unterwegs gibt es für Mitglieder*innen die Möglichkeit die Pannenhilfe anzurufen. Eine Mitgliedschaft kann aus unterschiedlichen Blickrichtungen passend sein. Als aktives Mitglied um sich z.B. regional einzusetzen, in Arbeitsgruppen oder Ortsgruppen mitzuwirken. Oder als Mitglied um den Verein und seine Aktivitäten zu unterstützen, im Fall der Fälle die 24h-Pannenhilfe zu nutzen oder bei einem der Partner (z.B. Carsharing) zu sparen. Außerdem erhalten Mitglieder*innen das ADFC-Magazin Radwelt mit Informationen zu allem, was Radfahrende politisch, technisch und im Alltag bewegt. Die Einzelmitgliedschaft kostet ab 27 Jahren 56 € pro Jahr. Für Familie liegt die Mitgliedschaft bei 68 € pro Jahr. Menschen zwischen 18 und 26 Jahren erhalten die Mitgliedschaft für 33 € pro Jahr und bei jungen Menschen unter 18 bieten wir die Jahresmitgliedschaft für 16 € an.

Wie nutzen Sie selbst das Fahrrad im Alltag und in der Freizeit?

T.S. Ich bin fast ausschließlich mit dem Fahrrad unterwegs. Auf Wetter kann ich dabei keine Rücksicht nehmen: Sonnenbrille, gefütterte Winterschuhe, Regenjacke oder Mäntel mit Spikes gegen Glätte. Und je nach Anwendung das passende Fahrrad. Ich habe ja auch nicht nur eine Jacke im Schrank hängen 😉

Wo stoßen Sie selbst in Ihrem Alltag mit dem Fahrrad an Grenzen? Wann nutzen Sie das Auto, wann ÖPNV bzw. die Bahn?

T.S. Ich würde mich selbst als Langstreckenradfahrer bezeichnen. Dabei kommt es mir nicht auf Geschwindigkeit, sondern auf Strecke an. Bevor ich mich für 300 km ins Auto setze, schwing ich mich aufs Fahrrad. Dabei kann es vorkommen, dass auch Nächte komplett durchgefahren werden. Für schwere oder große Lasten habe ich eine Ape mit 3 PS (dreirädriger Kleintransporter).

Was müsste sich in Rastede „und um zu“ verändern, damit Sie selbst noch mehr Alltagswege mit dem Fahrrad zurücklegen?

T.S. Ich fahre im Jahr zwischen 18.000 und 20.000 km mit dem Fahrrad, da ist nicht mehr viel Luft nach oben. Dabei kann es hier so abwechslungsreich sein: Wir haben die Stadt Oldenburg vor der Tür, die Nordsee, Moore oder schöne Nebenwege durch Baumschulregionen.

Bundesverkehrsminister Scheuer hat vor Kurzem den Nationalen Radverkehrsplan vorgestellt, demzufolge Deutschland bis 2030 ein Fahrradland werden soll. Gestern (19.06.2021) konnten wir in der NWZ lesen, dass die Zahl der Autos im Ammerland erneut gestiegen ist. Auf 1000 Erwachsene kommen 780 PkW. Was muss sich Ihrer Meinung nach verändern, damit das Ammerland bis 2030 zum Fahrradland werden kann?

T.S. Wir benötigen mehr Anreize zum Fahrradfahren. Fahrradfahren soll Spaß machen, dies beinhaltet aber auch Komfort und Sicherheit. Dazu müssen Ressourcen geschaffen werden, finanzielle wie auch personelle. In Deutschland gab es 2020 rund 79 Millionen Fahrräder, davon über sieben Millionen mit elektrischer Unterstützung. An Fahrrädern mangelt es also nicht – dennoch werden hierzulande wegen fehlender komfortabler Alternativen selbst kürzeste Wege mit dem Auto zurückgelegt. 50 Prozent der Autofahrten sind unter fünf Kilometer, 25 Prozent sogar unter zwei Kilometer. Es besteht also ein erhebliches Verlagerungspotenzial, wenn es ein attraktives Radinfrastrukturangebot in Verbindung mit einem gut ausgebautem ÖPNV gibt.

Schlussendlich appellieren wir immer wieder an alle Verkehrsteilnehmer*innen: Jeder – egal ob mit dem Fahrrad, E-Scooter, Auto, Roller oder zu Fuß – möchte sicher und zügig von A nach B kommen. Der dafür zur Verfügung stehende Raum ist sehr knapp bemessen und die Fortbewegungsmöglichkeiten haben sich verändert. Der motorisierte Individualverkehr hat zugenommen, Autos werden leiser (Elektroautos), durch leichtere und elektrisch unterstützte Fahrräder sind diese gefühlt schneller geworden, neu hinzugekommen sind unter anderem Transport- und Lastenfahrräder oder E-Scooter. Ebenso hat erfreulicherweise der Fahrradverkehr zugenommen, das hat unterschiedliche Gründe: Corona, Gesundheitsgedanken oder der Umweltaspekt. Aber es geht nicht ohne den § 1 der StVO: Ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksichtnahme. Wir müssen uns miteinander im Straßenverkehr arrangieren.

Damit spricht mir Thorsten Schramm aus dem Herzen. Ich bedanke mich für das aufschlussreiche Interview und hoffe sehr, dass wir alle gemeinsam das Fahrradklima in Rastede entscheidend verbessern können.

Für ein fahrradfreundliches Rastede

Die Stadtradeln-Aktion in Rastede neigt sich ganz langsam dem Ende zu. Das heißt aber nicht, dass uns schon die Luft ausgeht 😉 – im Gegenteil. Jeden Tag entdecken wir als Familie neue schöne Wege und schmieden Pläne, wo wir demnächst noch überall hinradeln wollen. Natürlich gibt es in Rastede auch Hürden für den Fahrradalltag. In dieser Woche kam es in Rastede leider zu einem Fahrradunfall, bei dem ein Junge mit einer Pedelec-Fahrerin kollidierte und sich den Arm brach. Die Unfallstelle kennen wir selbst sehr gut, denn sie liegt auf unserem täglichen Schulweg. Wer dort regelmäßig mit dem Rad unterwegs ist, wundert sich sicherlich nicht, dass es auf dem schmalen Fußweg mit Radfreigabe tatsächlich zu einer Kollision gekommen ist – angesichts der häufigen Beinahe-Kollisionen, die man dort beobachten oder selbst erleben muss.

5 der 22 vorbildlichen Stadtradler*innen aus der Gemeindeverwaltung Rastede

Auch die Ergebnisse des letzten ADFC-Fahrradklimatests haben gezeigt: Wirklich fahrradfreundlich ist Rastede noch nicht. Im Herbst 2020 hatten Radfahrer*innen verschiedene Kriterien, wie Sicherheit, Komfort und Infrastruktur auf einer Skala von 1 bis 6 bewertet. In der Gemeinde Rastede wurden 14 von 27 Kriterien mit einer 4 bewertet, vier weitere Kriterien bekamen eine 5. Man muss dazu sagen, dass der ADFC-Fahrradklimatest in vielen anderen Gemeinden in Niedersachsen und Deutschland ähnlich oder noch schlechter ausgefallen ist. Rastede hat mit diesen Ergebnissen im Ranking der niedersächsischen Gemeinden zwischen 20.000 und 30.000 Einwohnern den 10. Platz belegt. Rastede hat in Sachen Fahrradfreundlichkeit aber sehr viel Potential: sehr viele radbegeisterte Bürger*innen, eine gewachsene Infrastruktur und vor allem einen Bürgermeister und einen Gemeindesprecher, die selbst begeisterte Alltagsradler sind und sich die Förderung des Radverkehrs auf die Fahnen geschrieben haben. Zusammen mit dem Team der Gemeindeverwaltung haben Bürgermeister Lars Krause und Gemeindesprecher Ralf Kobbe beim Stadtradeln schon 3.500 Kilometer zurückgelegt (Platz 6). Daher habe ich die beiden befragt, wie sie selbst das Fahrrad nutzen und wie sie den Radverkehr in Rastede fördern wollen.

Wie nutzen Sie selbst im Alltag das Fahrrad?

Lars Krause: In aller Regel nutze ich für den Weg zur Arbeit das Fahrrad und ebenso, um innerhalb Rastedes an verschiedene Ziele zu gelangen. Von Leuchtenburg aus lässt sich eigentlich alles bestens erreichen. Neben dem praktischen Nutzen im Alltag hat das Radfahren für mich aber auch den Aspekt fit zu bleiben und die Umwelt zu schonen. Privat unternehmen wir zudem an Wochenenden oder im Urlaub sehr viele Radtouren.

Ralf Kobbe: Neben dem täglichen knapp sieben Kilometer langen Weg von Wahnbek zur Arbeit im Rathaus nutze ich das Rad für kleinere Einkäufe, für die Fahrt zum Sport oder auch zu Besuchen bei meinen Eltern in Hahn-Lehmden. Ich versuche generell, alle Fahrten innerhalb der Gemeinde oder auch nach Oldenburg mit dem Fahrrad zu erledigen. Insofern ist die ganzjährige Nutzung meines Fahrrads für mich selbstverständlich.

Wo stoßen Sie in Ihrem Alltag mit dem Fahrrad an Grenzen? Wann nutzen Sie das Auto, wann ÖPNV bzw. die Bahn?

Lars Krause: Die Grenzen werden meist durch die Faktoren Distanz und Zeit bestimmt. Dank unseres Dienst-E-Bikes sind Strecken bis zu zehn Kilometer gut zu bewältigen. Aber wenn sich ein Termin an den anderen Termin reiht, bietet sich häufig eher der E-Dienstwagen an. Gegenüber dem ÖPNV besteht der Vorteil darin, dass man sein Ziel direkt erreicht. Deshalb nutze ich Busse und Bahnen im Nahbereich recht selten.

Ralf Kobbe: Bei größeren Einkäufen mit Getränken für unsere vierköpfige Familie stoße ich mit dem Fahrrad schnell an Grenzen, sodass dafür das Auto genutzt wird. Den ÖPNV nutze ich so gut wie gar nicht, muss ich gestehen – mit Ausnahme des einen oder anderen Besuchs von Heimspielen der EWE Baskets Oldenburg.

Was müsste sich in Rastede „und um zu“ verändern, damit sie selbst noch mehr Alltagswege mit dem Fahrrad zurücklegen?

Ralf Kobbe: Eigentlich komme ich momentan überall gut durch, sodass ich nahezu alle Alltagsweg bis zu zehn Kilometer mit dem Fahrrad erledige. Wichtig ist natürlich die persönliche Ausrüstung mit Helm sowie Schutz- und Regenkleidung, um auch bei widrigem Wetter mit dem Fahrrad mobil sein zu können.

Lars Krause: Mein persönlicher Anspruch ist es, möglichst viele Wege mit dem Fahrrad zurückzulegen, da bedarf es eigentlich keiner zusätzlichen Motivation oder Veränderung.

Bundesverkehrsminister Scheuer hat vor Kurzem den Nationalen Radverkehrsplan vorgestellt, demzufolge Deutschland bis 2030 ein Fahrradland werden soll. In Rastede hat statistisch jeder Haushalt mindestens ein Auto. Der Trend zum 2. Auto setzt sich fort. Was muss sich Ihrer Meinung nach verändern, damit das Ammerland bis 2030 zum Fahrradland werden kann?

Ralf Kobbe: Zunächst muss man aus meiner Sicht deutlich unterstreichen, dass das Ammerland im Vergleich zu vielen anderen Landkreisen bereits über eine gute Fahrradinfrastruktur verfügt. Jetzt liegt der Schwerpunkt nicht mehr auf dem Neubau von Radwegen, sondern auf der Sanierung der bereits bestehenden Verbindungen. Die vorhandenen Wege sind teilweise ziemlich in die Jahre gekommen und genügen den heutigen Ansprüchen nur noch bedingt, da inzwischen nicht nur normale Fahrräder unterwegs sind, sondern schnelle E-Bikes, Lastenräder oder Fahrräder mit Anhänger. Dafür sind die schmalen und teilweise unebenen Radwege nicht ausgelegt.

Lars Krause: Daneben muss sich sicherlich unser Bewusstsein verändern, dahingehend, dass es zur Selbstverständlichkeit wird, kurze Strecken mit dem Rad zu absolvieren. Das ist ein Prozess, der sich nicht von einem Tag auf den anderen vollzieht. Als Gemeinde versuchen wir, diese Entwicklung zu fördern. Durch die Teilnahme am „Fahrradklimatest“ haben wir erhoben, wo die Stärken und Schwächen unserer Infrastruktur gesehen werden. Vom „Stadtradeln“ erhoffen wir uns, dass noch mehr Rastederinnen und Rasteder feststellen, dass das Fahrrad für viele Alltagswege die bessere Alternative ist. Auch mit Aktionen wie dem mobilen Bürgerdialog wollen wir das Rad mehr in den Fokus rücken.

Für den Verkehr trägt die Gemeinde nur teilweise die Verantwortung, viele Aufgaben liegen auch beim Kreis. Welche Aufgaben hat die Gemeinde Rastede und was ist in nächster Zukunft im Bereich „Radverkehrsförderung“ geplant?

Lars Krause: Radwege befinden sich in unserer Gemeinde fast ausschließlich an Kreisstraßen, aber wir möchten bei der Frage, was für den Radverkehr förderlich ist, deshalb nicht die Hände in den Schoß legen. Vielmehr nehmen wir konstruktive Anregungen und Meldungen über Probleme gerne auf und versuchen zusammen mit dem Landkreis Verbesserungen zu erzielen. Nach der „Stadtradeln“-Aktion werden wir uns auch mit Vertretern des ADFC und anderen Fahrradinteressierten treffen, um die Stärken-Schwächen-Analyse weiter zu vertiefen. Daraus lassen sich am Ende sicherlich mögliche Maßnahmen ableiten. Die müssen dann zunächst mit der Politik erörtert und können anschließend gegebenenfalls umgesetzt werden.

Ralf Kobbe: Es gibt erste Ansätze, die mit vergleichsweise wenig Geld umzusetzen wären, aber eine große Wirkung für den Stellenwert des Fahrrads entfalten könnten. Ich persönlich würde gerne die Vorfahrtsregelung an unseren Kreisverkehrsplätzen geändert sehen, dem Radverkehr rund um die Schulen grundsätzlich Vorfahrt gewähren und die Ampelschaltungen im Ort für den Radverkehr optimieren. Mittelfristig müsste sicherlich das große Thema Oldenburger Straße mit den unterschiedlichsten Regelungen für Radfahrende in Angriff genommen werden.

Beim ADFC-Fahrradklimatest 2020 wurden insbesondere die zu geringe Breite und der schlechte Zustand von Radwegen bemängelt. Aber es gaben auch viele Teilnehmer*innen an, dass sie im Mischverkehr von Kfz bedrängt werden und sich insgesamt beim Radfahren nicht sicher genug fühlen. Was muss sich Ihrer Meinung nach in Rastede verbessern und wo sehen Sie Möglichkeiten von Seiten der Gemeinde, diese Verbesserungen voranzutreiben?

Ralf Kobbe: Auf die geringe Breite und den teilweise schlechten Zustand der Radwege bin ich ja bereits eingegangen. Hier setze ich auf den Landkreis Ammerland, der sich die Ertüchtigung der Radwege an den Kreisstraßen für die nächsten Jahre zur Aufgabe gemacht hat. Darüber hinaus gilt es, um Verständnis und Rücksichtnahme unter allen Verkehrsteilnehmern zu werben, da sich die aufgezeigten Probleme nur gemeinsam lösen lassen. Vielleicht sind dafür Veranstaltungen und Workshops mit Experten zum Thema innerörtliche Mobilität geeignete Instrumente, um eventuell auch weitergehende Lösungsansätze erarbeiten zu können.

Lars Krause: Die Herausforderung, eine vorhandene, gewachsene Infrastruktur so anzupassen, dass sich die Situation insgesamt verbessert, ist nicht zu unterschätzen. Es kann nicht das Ziel sein, die unterschiedlichen Verkehrsteilnehmerinnen und -teilnehmer gegeneinander auszuspielen. Wir alle haben ein Interesse daran, dass der Verkehr bei uns nachhaltig und sicher ist. Dem künftigen Klimaschutzmanager unserer Gemeinde könnte die Aufgabe zukommen, diese Entwicklung zu gestalten und zu moderieren. Seitens der Gemeinde fördern wir darüber hinaus punktuell, wie zum Beispiel durch die Schaffung von Lademöglichkeiten für E-Bikes.

Was möchten Sie den Rastedern zum Thema „Radfahren im Alltag“ außerdem mitteilen?

Ralf Kobbe: Die Rastederinnen und Rasteder sind schon seit vielen Jahren begeisterte Radfahrer. Dies wird auch bei der diesjährigen Stadtradeln-Aktion deutlich, die eindrucksvoll zeigt, welch großes Radfahrpotenzial wir in der Gemeinde Rastede haben. Egal ob Schülerinnen und Schüler, Berufstätige oder Senioren – alle radeln begeistert mit. Und das ist auch der richtige Ansatz: Wir müssen versuchen, etwas im Kleinen zu bewegen, damit sich daraus etwas Großes entwickelt. Setzen wir uns also weiter auf das Fahrrad, damit Rastede sich zu einem klimafreundlichen Fahrradort entwickelt.

Lars Krause: Rastede bietet mit all seiner Natur viele tolle Optionen für Radfahrer. Das ist auch durch die Corona-Krise noch einmal ganz deutlich geworden, als man statt in der Ferne direkt in unserer unmittelbaren Umgebung reizvolle Orte (wieder-) entdecken konnte. Auf dem Fahrrad nimmt man die Fahrten durch die Gemeinde ganz anders wahr und es gibt einige schöne Strecken, die von motorisierten Fahrzeugen gar nicht befahren werden dürfen. Ich kann deshalb nur alle ermutigen, weiter mit dem Rad auf Entdeckungsreise zu gehen.

Vielen Dank, dass Sie sich so viel Zeit für meine Fragen genommen haben.

Als ADFC-Mitglied freue mich besonders darüber, dass Gespräche zur Stärken-Schwächen-Analyse in Angriff genommen wird. Auch dass die Probleme rund um die Schulen wahrgenommen und dass insgesamt so viele Ideen für konkrete Maßnahmen genannt werden, ist sehr erfreulich. Allerdings sollten meiner Meinung nach nicht nur beim Thema Miteinander im Verkehr Expert*innen-Meinungen stärker beherzigt werden. Gerade die größeren Umbauten, die in den letzten Jahren in der Oldenburger Straße, aber auch am Voßbarg erfolgt sind, entsprechen im Hinblick auf den Radverkehr nämlich nicht dem aktuellen Stand der Technik. Und das spiegelt sich auch in den Problemen, die Radfahrer*innen und Fußgänger*innen dort täglich erleben. Ein linksseitiger Fußweg, der für Radfahrer*innen in beide Richtungen freigegeben wird, ist von vornherein sehr gefährlich. Das kann man auch in Sicherheitsaudits von Expert*innen nachlesen, die zwar erstellt, aber leider selten wirklich ernst genommen werden. Ein gutes Miteinander im Verkehr ist das A und O. Aber auch die Bedingungen bei den Verkehrsanlagen müssen stimmen, wenn Rastede beim nächsten ADFC-Fahrradklimatest als „fahrradfreudlich“ beurteilt werden will.

Auf den folgende Fotos sind einige „Problemzonen“ der Oldenburger Straße zu sehen. Normalerweise sind dort mehr Radfahrer*innen, Fußgänger*innen und Autos unterwegs. Um in Ruhe Fotos machen zu können, habe ich mir eine besonders verkehrsarme Zeit am Abend ausgesucht.

Der Zweirichtungsradweg an der Oldenburger Straße hat viele Einmündungen, an denen Autofahrer*innen auf Radfahrer*innen aus beiden Richtungen achten müssen: Zuerst kommt REWE…
… danach LIDL. Besonders schlecht können Autofahrer*innen die Radler*innen sehen, die von hinten links angedüst kommen.
An der Bushaltestelle warten regelmäßig mehrere Menschen auf den Bus, Radfahrer*innen müssen Schrittgeschwindigkeit fahren und dürfen Fußgänger*innen nicht behindern.
Auch für die Fußgänger*innen, die aus dem Weg herauskommen, ist die Sicht durch die Hecke enorm eingeschränkt. Das führt zu Konflikten mit Radfahrer*innen, die den Weg gar nicht wahrnehmen und, wenn sonst alles frei ist, auch schneller als Schrittgeschwindigkeit fahren.
… dann die Feldbreite und direkt dahinter ESSO…
Nach dem Hirschtor beginnt der Fußweg mit Freigabe für den Radverkehr in beide Richtungen. Auf dieser Stercke kam es am Dienstag, den 15.06.2021, zu einer Kollision zwischen einer Pedelec-Fahrerin und einem zwölfjährigen Radfahrer.
Hinter der Hecke versteckt sich ein Fußweg, aus dem oft Fußgänger*innen und Radfahrer*innen kommen, die man vorher nicht sehen kann.