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„Ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksichtnahme. Wir müssen uns miteinander im Straßenverkehr arrangieren.“

Heute haben wir eine kleine Radtour nach Oldenburg gemacht, um das beste Eis der Welt zu essen: Krauss Eis in der Donnerschweer Str. 331. Dabei haben wir schöne Fotos gemacht und ich wollte diese hier eigentlich zusammen mit der Route einstellen. Dazu habe ich nun aber einfach nicht mehr die Nerven, weil wir kurz vor Ende unserer Tour ein so gefährliches Erlebnis hatten, dass wir noch total geschockt sind. Auf dem Knickweg, einem Feldweg, der zwischen 3,00 und 3,50 m breit ist, ist ein SUV mit wenigen Zentimetern Abstand an uns und den Kindern vorbeigefahren. Mein Sohn hat sich so erschrocken, dass er den ganzen Nachhauseweg geheult hat. Nach dem Überholmanöver hat der Autofahrer direkt vor uns gehalten und ist ausgestiegen, um uns breit lächelnd darüber aufzuklären, dass wir eben weiter rechts fahren müssen. Auf meine Erwiderung, dass der Weg so schmal sei und viele Schlaglöcher habe, und dass er 1,5 m Abstand halten muss – zumal Kinder dabei waren, hat er weiterhin gelächelt und wiederholt, dass das völlig normal sei, dass er uns dort überholt. Dann ist das Auto weitergefahren und nach wenigen Metern links auf das Grundstück in der Mitte des Knickwegs eingebogen.

Dieses Schild befindet sich an der DB-Baustelle im Knickweg. Am Knickweg selbst ist ein solches Schild nicht zu finden, obwohl ich es mir heute sehr gewünscht hätte. Das liegt daran, dass der Knickweg ein öffentlicher Weg ist und kein Privatgelände. Im Knickweg gilt die StVO also einfach so – ganz ohne Schild.

Da der Fahrer extra vor uns angehalten hat, um uns zu erklären, was wir falsch gemacht haben, hatte er es offensichtlich nicht einmal eilig, sondern er hat das einfach aus Prinzip gemacht. Wir haben mit Mühe und Not das heulende Kind nach Hause bekommen und ich werde auf keinen Fall meine Kindern jemals wieder allein auf dem Knickweg mit dem Fahrrad fahren lassen, denn diese Person ist dort regelmäßig unterwegs.

Nach diesem Ereignis erscheint es mir umso wichtiger, dass wir uns für den Radverkehr in Rastede stark machen. Dabei geht es auch ums Klima, zuallererst geht es aber einmal um die Sicherheit der Menschen, die in Rastede „und um zu“ mit dem Rad unterwegs sind. Natürlich wird es immer einzelne Personen geben, die meinen, ihnen gehöre der Knickweg, und die leichtsinnig andere gefährden. Aber wenn Fahrradfahren insgesamt einen höheren Stellenwert in der Gemeinde erlangt, wird sich das auch auf das Miteinander im Verkehr auswirken. Daher möchte ich heute die Gelegenheit nutzen, den ADFC Ammerland vorzustellen, der sich hier bei uns für die Belange von Radfahrer*innen, aber auch von Fußgänger*innen einsetzt. Unsere Familie ist schon seit über 10 Jahren Mitglied im ADFC. Der Vorsitzende des ADFC Ammerland, Thorsten Schramm, wohnt selbst in Rastede. Und ich freue mich besonders, dass er sich Zeit für meine Fragen genommen hat.

Der ADFC ist ein Verband, der sich für die Förderung des Radverkehrs einsetzt. Welche Aktivitäten gehören konkret zum Engagement des ADFC Ammerland?

Thorsten Schramm: Der Verein hat den Zweck, unabhängig und überparteilich im Interesse der Allgemeinheit den Fahrradverkehr und die Belange nichtmotorisierter Verkehrsteilnehmer*innen zu fördern. Beratung und Unterstützung für Mitglieder*innen, Bürger*innen, Verwaltung und Politik bei Fragen rund ums Fahrrad oder Infrastruktur. Z.B. Förderung und Sensibilisierung des Fahrradverkehrs, durch Aktionen und Aufklärung.
Wir bieten im Landkreis verteilt immer wieder Codieraktionen an. Dabei wird ein Code (Kombination aus Orts-/Straßenschlüssel, Anfangsbuchstaben des Namen und Codierjahr) auf den Fahrradrahmen aufgebracht, mit dem auf den Eigentümer*in zurückgeführt werden kann. Desweiteren unterstützen und beraten wir die Ammerland Touristik bei den 15 Themenrouten, des Radwegenetzes und dem neu eingeführten Knotenpunktsystem. Aus den Ortsgruppen heraus werden regelmäßig Touren von unseren Tourenguides angeboten. Dabei werden Feierabendtouren, Ganztagestouren oder auch geführte Touren mit Erörterungen durchgeführt. Die Touren sind öffentlich und nicht nur für Mitglieder*innen. Ebenso geben wir unsere Stellungnahmen beispielsweise bei Planfeststellungsverfahren des Landkreises.

In welchen Bereichen sehen Sie in Rastede noch „Förderbedarf“ beim Radverkehr?

T.S. Zum Beispiel bei der Einführung eines Radverkehrskonzeptes und Schaffung einer Ressource als Radverkehrsbeauftragte*r in der Gemeinde. Ein schwieriges Thema ist die Radwegeführung am Beispiel Oldenburger Straße, Raiffeisenstraße oder auch die Kreisverkehre. Hier wünschen wir uns eine Vereinheitlichung. Es ist teils schwer zu verstehen, wann wo wie schnell gefahren werden darf. Verbesserung der Oberflächen und Wegebreiten, z.B. Ausbesserungen von Wurzelaufbrüchen, Schäden durch Frost oder der Grasüberwuchs an ohnehin schon schmalen Wegen. Wir wünschen uns komfortable Radschnellwege, z.B. zwischen Rastede und Oldenburg.
Hilfreich und ein Sicherheitsgewinn wären Aufstellflächen/Fahrradbuchten an Lichtsignalanlagen. Allgemein Schaffung von Sicherheit für Fahrradfahrende, z.B. durch Geschwindigkeitsbegrenzung auf der Oldenburger Straße auf 30 km/h.

Beim ADFC-Klimatest hat Rastede nicht so gut abgeschnitten. Wer ist verantwortlich dafür, dass die Probleme angegangen werden und welche Maßnahmen schlägt der ADFC vor?

T.S. Die Probleme sind uns bekannt und werden regelmäßig angesprochen. Wir sind dabei im Kontakt mit der Polizei, dem Landkreis und der Gemeinde. Mit unserer Gemeinde steht noch ein gemeinsamer Termin aus, in dem wir beispielhaft die Oldenburger Straße abfahren wollen und auf Gefahrenpunkte und Verbesserungspotential eingehen wollen. Die Oldenburger Straße ist ein Beispiel für eine mannigfaltige Beschilderung, Verkehrsführung und innerhalb des Ortskerns ohne Leitlinie, bei gefühlt enger Straße und parkenden Autos.

Der ADFC ist ein Verband und lebt daher vor allem vom Engagement seiner Mitglieder. Für wen ist der ADFC „der richtige Verein“? Was kostet die Mitgliedschaft und was macht man als ADFC-Mitglied?
T.S. Der ADFC breit aufgestellt ist. Regional setzt sich der Verein für den lokalen Radverkehr ein. Der Verein bietet Informationen rund ums Rad, Touren oder Fachthemen an. Bei einer Panne unterwegs gibt es für Mitglieder*innen die Möglichkeit die Pannenhilfe anzurufen. Eine Mitgliedschaft kann aus unterschiedlichen Blickrichtungen passend sein. Als aktives Mitglied um sich z.B. regional einzusetzen, in Arbeitsgruppen oder Ortsgruppen mitzuwirken. Oder als Mitglied um den Verein und seine Aktivitäten zu unterstützen, im Fall der Fälle die 24h-Pannenhilfe zu nutzen oder bei einem der Partner (z.B. Carsharing) zu sparen. Außerdem erhalten Mitglieder*innen das ADFC-Magazin Radwelt mit Informationen zu allem, was Radfahrende politisch, technisch und im Alltag bewegt. Die Einzelmitgliedschaft kostet ab 27 Jahren 56 € pro Jahr. Für Familie liegt die Mitgliedschaft bei 68 € pro Jahr. Menschen zwischen 18 und 26 Jahren erhalten die Mitgliedschaft für 33 € pro Jahr und bei jungen Menschen unter 18 bieten wir die Jahresmitgliedschaft für 16 € an.

Wie nutzen Sie selbst das Fahrrad im Alltag und in der Freizeit?

T.S. Ich bin fast ausschließlich mit dem Fahrrad unterwegs. Auf Wetter kann ich dabei keine Rücksicht nehmen: Sonnenbrille, gefütterte Winterschuhe, Regenjacke oder Mäntel mit Spikes gegen Glätte. Und je nach Anwendung das passende Fahrrad. Ich habe ja auch nicht nur eine Jacke im Schrank hängen 😉

Wo stoßen Sie selbst in Ihrem Alltag mit dem Fahrrad an Grenzen? Wann nutzen Sie das Auto, wann ÖPNV bzw. die Bahn?

T.S. Ich würde mich selbst als Langstreckenradfahrer bezeichnen. Dabei kommt es mir nicht auf Geschwindigkeit, sondern auf Strecke an. Bevor ich mich für 300 km ins Auto setze, schwing ich mich aufs Fahrrad. Dabei kann es vorkommen, dass auch Nächte komplett durchgefahren werden. Für schwere oder große Lasten habe ich eine Ape mit 3 PS (dreirädriger Kleintransporter).

Was müsste sich in Rastede „und um zu“ verändern, damit Sie selbst noch mehr Alltagswege mit dem Fahrrad zurücklegen?

T.S. Ich fahre im Jahr zwischen 18.000 und 20.000 km mit dem Fahrrad, da ist nicht mehr viel Luft nach oben. Dabei kann es hier so abwechslungsreich sein: Wir haben die Stadt Oldenburg vor der Tür, die Nordsee, Moore oder schöne Nebenwege durch Baumschulregionen.

Bundesverkehrsminister Scheuer hat vor Kurzem den Nationalen Radverkehrsplan vorgestellt, demzufolge Deutschland bis 2030 ein Fahrradland werden soll. Gestern (19.06.2021) konnten wir in der NWZ lesen, dass die Zahl der Autos im Ammerland erneut gestiegen ist. Auf 1000 Erwachsene kommen 780 PkW. Was muss sich Ihrer Meinung nach verändern, damit das Ammerland bis 2030 zum Fahrradland werden kann?

T.S. Wir benötigen mehr Anreize zum Fahrradfahren. Fahrradfahren soll Spaß machen, dies beinhaltet aber auch Komfort und Sicherheit. Dazu müssen Ressourcen geschaffen werden, finanzielle wie auch personelle. In Deutschland gab es 2020 rund 79 Millionen Fahrräder, davon über sieben Millionen mit elektrischer Unterstützung. An Fahrrädern mangelt es also nicht – dennoch werden hierzulande wegen fehlender komfortabler Alternativen selbst kürzeste Wege mit dem Auto zurückgelegt. 50 Prozent der Autofahrten sind unter fünf Kilometer, 25 Prozent sogar unter zwei Kilometer. Es besteht also ein erhebliches Verlagerungspotenzial, wenn es ein attraktives Radinfrastrukturangebot in Verbindung mit einem gut ausgebautem ÖPNV gibt.

Schlussendlich appellieren wir immer wieder an alle Verkehrsteilnehmer*innen: Jeder – egal ob mit dem Fahrrad, E-Scooter, Auto, Roller oder zu Fuß – möchte sicher und zügig von A nach B kommen. Der dafür zur Verfügung stehende Raum ist sehr knapp bemessen und die Fortbewegungsmöglichkeiten haben sich verändert. Der motorisierte Individualverkehr hat zugenommen, Autos werden leiser (Elektroautos), durch leichtere und elektrisch unterstützte Fahrräder sind diese gefühlt schneller geworden, neu hinzugekommen sind unter anderem Transport- und Lastenfahrräder oder E-Scooter. Ebenso hat erfreulicherweise der Fahrradverkehr zugenommen, das hat unterschiedliche Gründe: Corona, Gesundheitsgedanken oder der Umweltaspekt. Aber es geht nicht ohne den § 1 der StVO: Ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksichtnahme. Wir müssen uns miteinander im Straßenverkehr arrangieren.

Damit spricht mir Thorsten Schramm aus dem Herzen. Ich bedanke mich für das aufschlussreiche Interview und hoffe sehr, dass wir alle gemeinsam das Fahrradklima in Rastede entscheidend verbessern können.